HebeBühne - der Theater Blog - "Warum läuft Herr R. Amok?" - Münchner Kammerspiele


von Rainer Werner Fassbinder Regie: Susanne Kennedy, Bühne: Lena Newton, Kostüme: Lotte Goos, Sounddesign: Richard Janssen, Video: Ikenna Okegwo, Lena Newton, Licht: Jürgen Kolb, Dramaturgie: Koen Tachelet Mit: Willy Brummer, Kristin Elsen, Walter Hess, Renate Lewin, Christian Löber, Sybille Sailer, Anna Maria Sturm, Çiğdem Teke, Edmund Telgenkämper, Herbert Volz:, Erika Waltemath 

von Philipp Erik Breitenfeld
Warum läuft Herr R. Amok? Rainer Werner Fassbinders Eklat der Spießigkeit ist eigentlich schnell erklärt. Ohne drückende Dramatik in 3:28 Minuten. Man höre einfach nur Udo Jürgens Lied „Ich war noch niemals in New York“. Jürgens? Ja, der kürzlich verstorbene Entertainer riecht nicht nach intellektuellem Gesellschaftsdrama, sondern eher nach Rotkäppchen Sekt und Bausparvertrag. Doch ist er im Vergleich zu der Geschichte des Herren Raab, der ja bekanntlich Amok läuft, auf Augenhöhe. 

Der Akteur in Udo Jürgens Lied richtet sich und seine Frau trotz aller Tristesse nicht, was das Leiden innerhalb Spießbürgerschaft verlängert und damit eigentlich sehr viel mehr Qual als der Suizid verspricht! Jürgens ist der traurige Realist, der Kämpfer, Fassbinder ein Feigling! 

Und dann kommt die Regisseurin Susanne Kennedy und adaptiert Fassbinders Film auf die Bühne der Münchner Kammerspiele. Ein Experiment. Man mache die Kleinbürgerlichkeit noch kleiner, beengender und theatralisch klaustrophobischer. Man entwertet den Charakter, die Individualität. Die Schauspieler tragen Masken. Sie spielen ihre unausweichliche, fixierte Rolle. So werden die Schauspieler hinter den Masken des öffentlichen bornierten Lebens gewechselt, ohne an Pathos zu gewinnen. 

Kennedy quält den Zuschauer mit einer unheimlichen Lethargie und Langatmigkeit. Jeder Akteur tut, was man von ihm erwartet und scheitert. Beklemmende Leere eine Folge daraus. Und so wird aus kleinen Niederlagen des Alltags, ein Tsunami der Hoffnungslosigkeit. Gefangen in der Spießigkeit. Bewusst. Zur ausgelassenen Depression nicht fähig. Ob der Etikette.

Eines muss man dieser quälenden Inszenierung lassen. Sie beantwortet die Frage, warum Herr R. denn nun Amok läuft, mehr als eindringlich. 

Man erwischt sich bei dem Wunsch, dass Herr R. nun doch endlich Amok laufen solle, da die drückende, sich wie ein Kaugummi ziehende Hommage an die Leere des Bürgertums, den Zuschauer emotional und fordernd in den Abgrund des Herren R. zu ziehen vermag. 

Dabei sind einem die Orte, die Bereiche des Alltags, die Gespräche, die - wie Susanne Kennedy es ausdrückt - von Vorurteilen, Frustrationen und Klatsch geprägte Welt, nicht fremd. Keine Szene, wo man sich nicht selbst in der Retrospektive wiederfinden könnte. Sind wir demnach schon so abgestumpft, dass wir die beklemmende Leere verdrängen? Oder gibt es den „Wir“ Begriff gar nicht und die Parallelen entstehen aus purem Zufall? Selbstbetrug. „Ich war noch niemals in New York“. 

Kennedys Inszenierung lebt vor allem vom inneren Kampf des gequälten Zuschauers. Zwischen Verständnis, Wiedererkennungswert und Sehnsucht. Ein Mahnmal. Kein großes Theater. Ein gelungenes Experiment. Eine Installation.

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